- „einschießende“ Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) v.a. rechts
- seit ca. einer Woche, nach der Gartenarbeit
- ausstrahlend in das rechte Gesäß/Rückseite Oberschenkel
- Schmerzverstärkung durch Belastung, v.a. beim Tragen und Bücken
- leichtes Kraftdefizit im Zehenstand rechts
- Empfindungsstörung „Kribbeln“ Wade rechts
- Achillessehnenreflex vorhanden
- keine Schmerzverstärkung durch Husten, Niesen
- keine Probleme beim Wasserlassen oder Stuhlgang
Der Arzt stellt nach ausführlicher Untersuchung ein Rezept für Krankengymnastik aus mit folgender Diagnose „Lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie“. Außerdem verschreibt er ihm noch ein schmerzlinderndes Medikament. Er veranlasst zunächt kein bildgebendes Verfahren. Sollten nach abgeschlossener pyhsiotherapeutischer Behandlung noch Schmerzen bestehen oder sich diese noch verstärkt haben, spricht er die dringende Empfehlung eines weiteren Praxisbesuches aus.
Was ist ein Bandscheibenvorfall (BSV)?
Zunächst möchte ich den Irrtum beseitigen, dass die Bandscheibe (BS) bei einem Bandscheibenvorfall (Prolaps/Discusprolaps) „rausspringt“. Dafür wird im Folgenden kurz und vereinfacht der Aufbau einer Bandscheibe erklärt. Die BS liegen jeweils zwischen einem oberen und einem unteren Wirbelkörper. Sie dienen als Gelenke dieser Wirbelkörper. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um unechte Gelenke (Synarthrosen) und fallen unter die Kategorie „Synchondrosen“, knorpelige Knochenverbindungen. Unsere 23 Bandscheiben bestehen im Inneren aus einem Kern (Nucleus pulposus), den man sich wie ein Gelkissen vorstellen kann. Umschlossen wird der gallertartige Kern von den Fasern des Anulus fibrosus. Der harte Faserring sorgt dafür, dass die Bandscheibe an Ort und Stelle bleibt. Dementsprechend kann sich Nucleus-Material nach außen vorwölben (Protrusion), wenn der Faserring verletzt ist. Wenn der Kern den Faserring vollständig durchbricht, handelt es sich um einen Prolaps. In der Folge kann er auf Nerven drücken und Schmerzen auslösen. Bandscheibenschäden sind meist in der Lendenwirbelsäule lokaisiert, da das Körpergewicht hier einen besonders starken Druck auf die Wirbel und Bandscheiben ausübt. Nichtsdestotrotz gibt es auch Schäden auf Höhe der Halswirbelsäule, seltener noch der Brustwirbelsäule.
Der Verschleiß beginnt nicht etwa mit 70 Jahren auf dem Buckel, sondern bereits ab dem 20. Lebensjahr kann der degenerative Prozess einen Anfang machen. Nachweisliche Veränderungen gibt es ab 60 bei mehr als 90% der Population.
Was sind die Ursachen und Risikofaktoren?
Der Kern der Bandscheibe kann Wasser speichern, allerdings lässt diese Fähigkeit mit dem Alter nach. Somit sinkt der Wassergehalt und entsprechend auch die Elastizität der Bandscheibe. Wird der Faserring dann auch noch rissig, kann die Bandscheibe herausgepresst werden. Somit entstehen BSV durch den Alterungsprozess des Gewebes und einer ständigen Über- und Fehlbelastung der Wirbelsäule. Risikofaktoren sind dabei Übergewicht, schwere körperliche Tätigkeit, Haltungsfehler, aber auch Sportarten, bei denen die Wirbelsäule wiederkehrenden kleinen Erschütterungen (Reiten, Mountainbiken) oder ruckartigen Verdrehungen (Tennis, Squash) ausgesetzt ist. Seltener sind BSV ausgelöst durch Unfälle, Verletzungen, anlage- oder schwangerschafsbedingte Bindegewebsschwäche. Auch eine geringe Stabilität der WS durch zu schwache Bauch-, Rücken- und Gesäßmuskeln führt zu Schäden. Ein schweres Gewicht allein ist im Normalfall kein Auslöser für den BSV; die degenerative Veränderung spielt dabei die wesentliche Rolle. Zudem kann die falsche Technik beim Heben von Gewichten sehr belastend für die jeweiligen Strukturen sein. Hebt man einen ungewohnt schweren Gegenstand mit krummen Rücken auf, werden die hinteren Bandscheibenanteile durch die Beugung der Wirbelsäule belastet. Ungeklärt ist, welche Belastung es braucht bzw. wie stark die Belastbarkeit reduziert sein muss, um eine Protrusion oder einen Prolaps hervorzurufen.
Was sind typische Symptome einer Bandscheibenvorwölbung/eines -vorfalls?
Im letzten Artikel habt Ihr erfahren, dass nicht jeder Bandscheibenschaden Symptome hervorruft. Drückt der Kern aber auf einzelne Nervenwurzeln oder das Rückenmark, sind lokale und ausstrahlende Schmerzen, Empfindungsstörungen (Kribbeln, Taubheitsgefühl) oder sogar Lähmungen keine Seltenheit. Außerdem können Blasen- und/oder Mastdarmstörungen auftreten und Reflexe können abschwächen oder gar „verschwinden“. Bei einem lumbalen BSV ist oftmals der Ischiasnerv (der dickste Nerv des menschlichen Körpers) mit betroffen. Die Betroffenen berichten von einem „elektrisierenden“ Schmerz, der vom Gesäß über die Oberschenkelrückseite bis in den Fuß ausstrahlt. Mediziner bezeichen dieses Beschwerdebild als Ischialgie. Näheres dazu im nächsten Artikel, wenn ich allgemein über Radikulopathien sprechen möchte.
Deine Annika Reichenberger (staatl. geprüfte Physiotherapeutin, B. Sc. Integrative Gesundheitsförderung)
Quellen:
- Hüter-Becker, Antje; Dölken, Mechthild u.a., Biomechanik, Bewegungslehre, Leistungsphysiologie, Trainingslehre (ISBN 9783131368621), Georg Thieme Verlag KG, 2011.
- Schietzsch, Martina. „Histomorphologische Untersuchungen menschlicher zervikaler, thorakaler und lumbaler Bandscheiben während des Alterungsprozesses“. Ludwig-Maximilians-Universität, 2015.
- Sabarini, Munther. „Bandscheibenabnutzung (Bandscheibendegeneration)“, https://avicenna-klinik.com/wirbelsaeulenerkrankung/bandscheibenabnutzung-degeneration/.